© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Vor der Amazonas-Synode im Vatikan
Lockrufe des Relativismus
Ingo Langner

Alle reden vom Klima. Auch Franziskus. Doch nicht allein aus klimatischen Gründen hat der Papst für den Oktober Bischöfe aus der ganzen Welt einbestellt. Sein Ziel ist es, auf der „Amazonas-Synode“ die römisch-katholische Kirche in seinem Sinne „zukunftsfähig“ zu machen. Die sich bereits deutlich abzeichnende „progressive“ Tendenz dieser Versammlung wird von katholischen Modernisten enthusiastisch begrüßt und von traditionell gesinnten Katholiken vehement abgelehnt.

Konservative Agnostiker und Atheisten werden möglicherweise denken, was im Vatikan beschlossen wird, betreffe zwar die Katholiken, sie jedoch deswegen nicht, weil Humanismus, Menschenrechte und preußische Tugenden vollauf genügten, um ethisch ausreichend geerdet zu sein. Doch wer so argumentiert, ist auf dem Holzweg.

Ohne die Rückkehr zur Transzendenz, zum Naturrecht und eine Wiederbelebung eines wahrhaft christlichen Geistes steht eine konservative Familien- und Migrationspolitik sowie generell alles Konservative auf tönernen Füßen. Zum Scheitern verurteilt ist auch eine rein säkular begründete Abwehrschlacht gegen alle Spielarten der regenbogenfarbenen LGBT-Ideologie. Auch darum beginnt die Präambel der heute gültigen ungarischen Verfassung mit dem Satz „Gott, segne die Ungarn!“ Wer im Kampf gegen die neopagane Kultur des Todes nicht auf den dreifaltigen Gott der Christen vertraut, der hat auf Sand gebaut.

Es ist der erklärte Wille des Papstes, in Amazonien damit zu beginnen, die generelle Ehelosigkeit der katholischen Priester abzuschaffen und mit dem Weiheamt für „Diakoninnen“ auch gleich noch das Frauenpriestertum mit auf den Weg zu bringen. 

„Außerhalb der Kirche kein Heil.“ Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil war dieser Satz wie in Stein gemeißelt. Weil jedoch das letzte große Kirchenkonzil allergrößte Anstrengungen unternahm, fortan auch von der kirchenskeptischen „modernen Welt“ verstanden zu werden, wurden Kursänderungen beschlossen, die im Verlauf der letzten fünfzig Jahre die von Jesus Christus gegründete alleinseligmachende Kirche in einen spirituellen Anbieter neben anderen verwandelt hat. Wo bis zum Zweiten Vatikanum der Heilige Geist Alleinherrscher war, wurde fortan auch dem Zeitgeist ein Mitspracherecht eingeräumt. Der jedoch ist erstens ein höchst wandelbarer Geselle und hat zweitens die fatale Eigenschaft, sich selbst zum Herrn über alles und jedes aufzuschwingen.

Und so geschah es, und siehe, es war gar nicht gut. Mit Beginn der siebziger Jahre verließen Priester, Mönche und Nonnen in hellen Scharen die Kirche, bald danach folgten ihnen die Laien. Von den nach einer bis heute anhaltenden Austrittswelle verbliebenen rund 23 Millionen deutschen Katholiken erfüllen nur noch gut zwei Millionen die generelle Pflicht, an Sonntagen die Heilige Messe mitzufeiern, und wer von diesen zwei Millionen noch wirklich an all das glaubt, was im Credo steht, das weiß Gott allein. In anderen westeuropäischen Ländern ist die Lage ebenso.

Zwar haben Johannes Paul II. und Benedikt XVI. einiges dafür getan, das unveränderliche Glaubensgut zu bewahren. Der deutsche Papst wurde nicht müde zu betonen, die von den Modernisten vereinnahmten Beschlüsse auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil seien ausschließlich im Lichte der Tradition zu deuten. Doch nach Joseph Ratzingers Amtsverzicht am 28. Februar 2013 ist diese Verteidigungslinie in sich zusammengebrochen.

Mit dem jetzt regierenden Argentinier Jorge Mario Bergoglio hält ein Mann die Macht in den Händen, der es glänzend versteht, sich mit Bescheidenheitsgesten massenwirksam in Szene zu setzen. Seine Agenda Ökologie, Ökonomie, Inklusion und Nicht-Diskriminierung wird von maßgeblichen Mainstream-Medien bis hin zur New York Times geschätzt. Wer jedoch genauer hinsieht, wird auf Stimmen stoßen, die von einem Diktator-Papst sprechen, der im Vatikan ein totalitäres Regime errichtet hat.

Bislang hat der Jesuit auf dem Stuhl Petri seinen modernistischen Kurs durch bewußt inszenierte Zweideutigkeiten lanciert. Doch auf der „Amazonas-Synode“ scheint er die Katze aus dem Sack lassen zu wollen. Die theologische Grundlage für die Synode ist das Vorbereitungsdokument „Instrumentum laboris“, in dem allen Ernstes behauptet wird, die Naturreligion in den Urwäldern Amazoniens mit ihrer Vorliebe für indigene Heilpraktiken sei „eine Quelle der göttlichen Offenbarung“. Allerdings muß man nicht zweimal hinschauen, um zu erkennen, daß es der erklärte Wille Bergoglios ist, in Amazonien damit zu beginnen, die generelle Ehelosigkeit der katholischen Priester mit der Installierung von gleichberechtigten Laien abzuschaffen und mit dem Weiheamt für „Diakoninnen“ auch gleich noch das Frauenpriestertum mit auf den Weg zu bringen.

Begründet wird die Abschaffung des Zölibats mit dem Diktum, es sei jetzt notwendig, „auf die Stimme Amazoniens zu hören“ und „neu darüber nachzudenken, ob die Ausübung von Jurisdiktion in allen Bereichen (Sakrament, Gerichtswesen, Verwaltung) an das Sakrament der Weihe gebunden sein müsse“. Und das Frauenpriestertum damit, den „leadership der Frau im Innern der Kirche zu akzeptieren“, indem „weitere Räume für die Schaffung neuer Dienstämter“ etabliert werden, das sei das, was der „historische Augenblick erfordert“.

Bergoglio weiß natürlich, daß es nicht möglich ist, all das auf einen Schlag in der gesamten Weltkirche durchzusetzen. Doch was im „Laboratorium“ um den Amazonas herum begonnen werden soll, wird bald schon von Modernisten auch andernorts für ihre „spezifische Region“ gefordert werden. Besonders laut tönt hierzulande der Lockruf des Relativismus aus dem Munde des Essener Adveniat-Bischofs Franz Overbeck. Die „Amazonas-Synode“ werde, so Overbeck, eine „Zäsur“ in der katholischen Kirche bewirken, nach der „nichts mehr sein werde wie zuvor“.

Zwei gewichtige Stimmen gegen diesen Kurs sind die von Walter Brandmüller und Gerhard Ludwig Müller. Beide deutsche Kurienkardinäle haben dem Programm der „Amazonas-Synode“ entschieden widersprochen. Müller – er war ab 2012 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre und ist von Franziskus 2017 Knall auf Fall entlassen worden – ist fest davon überzeugt, der Niedergang des kirchlichen Lebens könne „nicht durch eine weitere Verweltlichung und Selbstsäkularisierung der Kirche überwunden werden“. Denn „mag die Kirche sich auch sekundär als naturreligiöse Lobby der Ökologiebewegung vor einer entchristlichten Welt legitimieren oder als Geld spendende Hilfsorganisation für Migranten andienen, so verliert sie erst recht ihre Identität als universales Sakrament des Heils in Christus und gewinnt doch nicht die Anerkennung, die sie sich vom links-grünen Mainstream erhofft.“

Der Kirchenhistoriker Brandmüller wird noch grundsätzlicher: „Das ‘Instrumentum laboris’  mutet der Bischofssynode und schließlich dem Papst einen schwerwiegenden Bruch mit dem ‘Depositum fidei’ zu, was in der Konsequenz Selbstzerstörung der Kirche, beziehungsweise deren Verwandlung von ‘Corpus Christi mysticum’ in eine säkulare NGO mit öko-sozio-psychologischem Auftrag bedeutet.“ Das Dokument widerspreche in entscheidenden Punkten der verbindlichen Lehre der Kirche und sei „darum als häretisch zu qualifizieren“.

Wie weit der von Kardinal Brandmüller erhobene äußerst schwerwiegende Vorwurf der Häresie auch auf Franziskus selbst zutrifft, ist bislang noch eine offene Frage. Fest steht nur, daß es nach dem geltenden Kirchenrecht keine Instanz gibt, die einen regierenden Papst als Häretiker anzuklagen in der Lage ist.

Federführend bei der Vorbereitung der Amazonas-Synode ist das Netzwerk vom lateinamerikanischen Bischofsrat CELAM, der Ordenskonföderation CLAR, der Caritas Lateinamerikas und der Brasilianischen Bischofskonferenz. Maßgeblich sind dort Kirchenmänner, die vor Jahrzehnten mit der sogenannten Theologie der Befreiung eng verbunden waren und an diese krypto-kommunistische Ideologie auch nach der organisatorischen Zerschlagung durch Johannes Paul II. und Kardinal Joseph Ratzinger weiterhin glauben.

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, daß Franziskus mit den roten lateinamerikanischen Priestern, Bischöfen und Kardinälen fraternisiert und daran arbeitet, Schritt für Schritt die rigorose Ablehnung der Befreiungstheologie seiner beiden Vorgänger im Amt zu revidieren. „Was wir wollen, ist der Kampf gegen die Ungleichheit. Das ist das größte Übel, das es in der Welt gibt“, sagte er am 11. November 2016 in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica. Ende Mai 2018 gratulierte Franziskus dem Dominikanerpater und Begründer und Namensgeber der Befreiungstheologie Gustavo Gutiérrez Merino zu dessen 90. Geburtstag mit den Worten: „Sei Dir sicher, daß ich in diesem bedeutenden Moment Deines Lebens für Dich bete“, und dankte ihm „für all das, was Du durch deinen theologischen Dienst und Deine Liebe zu den Armen und Ausgegrenzten für die Kirche und die Menschheit getan hast“.

Franziskus’ Aufmerksamkeit für die „Ränder“ und die „Letzten“ entspringe nicht einem Geist des Evangeliums und auch nicht einem laizistischen Philanthropentum, deutet de Mattei, sondern der philosophischen Annahme einer kosmologischen Gleichheit.

Diese Zeichen Bergoglios deutet der italienische Kirchenhistoriker Roberto de Mattei so: „Seine Aufmerksamkeit für die ‘Ränder’ und die ‘Letzten’ entspringt nicht aus einem Geist des Evangeliums und auch nicht aus einem laizistischen Philanthropentum, sondern aus einer primär philosophischen und dann erst politischen Entscheidung. Sie läßt sich in den Begriffen einer kosmologischen Gleichheit zusammenfassen.“

Am 19. August veröffentlichte die Internetplattform „katholisches.info“ ein Foto, auf dem ein mit bunten Vogelfedern geschmückter indigener Schamane am 14. August in Bogota mit einem Blätterbüschel die Teilnehmer des dritten Vorbereitungskurses für die Amazonas-Synode „segnet“. „Das Foto zeigt eine neue Kirche, in der Pantheismus, Animismus, Spiritismus, New Age, Schamanismus, Hexerei und Ketschua-Rituale vorherrschen. Das ist eine Kirche ohne Gott, ohne Kreuz, mit Yuca-Hostien, relativistisch und satanisch“, kommentierte die Internet-Tageszeitung La Nuova Bussola Quotidiana (NBQ) dieses „Ereignis“.

Der aktuelle Kampf zwischen Licht und Finsternis in der katholischen Kirche ist kein Novum. Er ist 2.000 Jahren alt, und bislang ist noch immer das Licht siegreich aus den Kämpfen gegen welche Häresie auch immer hervorgegangen. Ursächlich dafür sind die vom Evangelisten Mat­thäus aufgeschriebenen Jesus-Worte: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche aufbauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ So wird es auch diesmal sein.

Unsicher ist lediglich, wie lange der Kampf dauert und wieviel Opfer er kostet. Im Lukas-Evangelium stellt Jesus die Frage: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?“, und im 2. Thessalonicherbrief warnt Paulus die Gemeinde: „Niemand soll euch irreführen in irgendeiner Weise, denn es muß unbedingt zuerst der Abfall kommen und der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, geoffenbart werden, der Widersacher, der sich über alles erhebt, was Gott oder Gegenstand der Verehrung heißt, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst als Gott erklärt.“ Auf die Amazonas-Synode gemünzt heißt das: Die Lage der katholischen Kirche ist ernst, aber nicht hoffnungslos.






Ingo Langner, Jahrgang 1951, ist Filmemacher, Autor und Publizist (u. a. Die Tagespost, Cato). Seine ARD-Fernsehdokumentationen „Benedikt XVI. – eine deutsche Geschichte“ und „Das Antlitz Christi. Die Jesus-Trilogie von Joseph Ratzinger“ haben weit mehr als zwei Millionen Zuschauer gesehen. Auch in seinem 2018 publizierten ersten Kriminalroman steht mit Pius XII. ein Papst im Zentrum: „Der Fall Pacelli“ (Bernardus-Verlag). Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Heimat und Naturrecht („Raus aus der Abstellkammer“, JF 34/18).

Foto: Papst Franziskus empfängt den Häuptling Raoni Cacique vom Kayapo-Volk aus dem brasilianischen Amazonas im Mai bei einer Privataudienz im Vatikan: Kirche als naturreligiöse Lobby der Ökobewegung