© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Die Gedankenkontrolle aus dem Silicon Valley
Löschungen durch Youtube: Die Video-Plattform sortiert Pornos und Gewalt aus. Das ist gut so. Die Google-Tochter siebt aber auch politisch
Ronald Berthold / Björn Harms

Kommen auf den Flüchtlingsbooten aus Libyen auch Kämpfer des Islamischen Staates nach Europa? Der Ministerpräsident des nordafrikanischen Landes sieht es so, und der Focus berichtete auf seiner Netzseite darüber. In der aufgeheizten Migrationsdebatte ist das eine Wahrheit, die nicht jedem gefällt. Facebook gefiel das offenbar ganz und gar nicht. Das Unternehmen löschte den Link zu dem Text, den der Mitarbeiter der „Achse des Guten“ Stefan Klinkigt am 10. August gepostet hatte. Begründung: „Um die Sicherheit von Facebook zu gewährleisten.“

Beispielhaft wirft dieser Fall die Frage auf, wie es um die Meinungsfreiheit in den sozialen Medien bestellt ist. Denn Facebook ist kein Einzelfall. Auch Youtube und Twitter löschen und blockieren Beiträge oder entfernen sogar ganze Accounts. Nicht selten trifft es Nutzer, die kritisch zur Energiewende, der Flüchtlingspolitik und den Ursachen des Klimawandels stehen. Die Eingrenzung des Meinungskorridors, die es bereits in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und den großen gedruckten Medien gibt, greift damit auch auf das Internet über.

Die Nutzer sozialer Medien können sich wehren. Der erste und kostenfreie Schritt ist, per internem Formular das Unternehmen darauf aufmerksam zu machen, daß der Akt ungerechtfertigterweise erfolgt sei. In einigen Fällen hatte das Erfolg – in den meisten allerdings nicht. Dann bleibt nur der Rechtsweg. Doch der ist teuer.

Quasi-Monopolist Youtube definiert, was Haßrede ist

Zurück zum gelöschten Focus-Beitrag über die aus Libyen einsickernden Terroristen: Der auf solche Fälle spezialisierte Medienrechtsanwalt Joachim Steinhöfel (siehe Interview auf Seite 3) erreichte beim Landgericht Dresden, daß Facebook verboten wird, Klinkigt daran zu hindern, den Post zu verbreiten. Die Richterin teilte seine Auffassung, Facebook greife nicht nur in die Rechte des Nutzers ein, sondern verletze darüber hinaus die Pressefreiheit.

Der juristische Kampf gegen die Zensur läuft in vielen Ländern. Die amerikanische Vereinigung „PragerU“ verklagt nun Google und Youtube, weil die Unternehmen den Zugang zu mehr als 200 Videos begrenzt haben – solche mit nicht-linkem Inhalt und Videos von linksgerichteten LGBTQ-Youtubern. „Es ist Zeit für den großen Schlag, um die Zensur von Konservativen zu stoppen“, twitterte die Organisation: „Wir zerren sie vor Gericht.“ Dazu veröffentlichte sie ein Video, in dem junge Menschen verschiedener Ethnien sagen „Ich stehe zu PragerU“. Dahinter steckt der Journalist und Radiomoderator Dennis Prager. Im Kampf gegen die Zensur bezieht der Rechte auch die Begrenzung der Reichweite ein sowie das bewußte Unterlassen, Anzeigen neben Videos zu schalten.

Die Firma des PragerU-Anwalts vertritt auch die LGBTQ-Kläger. Diese nehmen einen etwas anderen Blickwinkel ein. Sie heben darauf ab, daß Youtube sich schließlich als Plattform zur freien Meinungsäußerung präsentiert, dann aber auch so behandelt werden sollte. In dem Fall habe Youtube LGBTQ-Inhalte als schockierend, unangemessen und sexuell explizit gemarkert, wohingegen es homosexuellenkritischen Nutzern erlaubte, „abscheuliche und obszöne Inhalte“ auf den Seiten und Kanälen der LGBTQ-Kläger und weiterer LGBTQ-Inhalteersteller zu posten.

Youtube hat im 2. Quartal 2019 nach eigenen Angaben insgesamt neun Millionen Videos gelöscht, darunter mehr als 100.000 Videos wegen „Haßrede“. Mehr als 17.000 Youtube-Kanäle sind wegen „Haßrede“ entfernt worden sowie eine halbe Milliarde Kommentare aus demselben Grund. Die Youtube-Mutter Google setzt für das Löschen der Inhalte mehr als 10.000 Mitarbeiter ein, sie werden von einem KI-Erkennungssystem unterstützt, das die Videos analysiert und bereits maschinell vorfiltert.

Die Chefin von Youtube, Susan Wojcicki, betonte dessen ungeachtet am 27. August in einem Brief an die häufigsten Nutzer ihrer Plattform, es sei „wichtiger denn je, Menschen alle Videos hochladen zu lassen, die sie möchten“. Ihre Plattform hätte nichts gegen „Inhalte, die kontrovers sind und jenseits des Mainstreams liegen“. Nicht einmal Beleidigungen würde sie löschen.

Das steht allerdings im Widerspruch zu den Verhaltensregeln, die Youtube den Nutzern auferlegt. In den Community-Richtlinien heißt es unter anderem, das Unternehmen werde keine Inhalte dulden, die Haß „aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion, Behinderung, Geschlecht, Alter, Nationalität, Veteranenstatus oder sexueller Orientierung bzw. Geschlechts­identität“ schürten.

Doch stellt sich diese Richtlinie nicht als Gummiparagraph heraus, mit dem Youtuber jedweder politischen Verortung, religiösen Zugehörigkeit oder Weltanschauung geblockt werden können, jederzeit und ohne Begründung im Detail?

„Wer gibt dieser privaten Firma das Recht, ‘Haßrede’ zu definieren und zu entscheiden, was die Welt sehen darf und was nicht“, fragte sich kürzlich auf Twitter auch der Psychologe Robert Epstein, der als einer der bekanntesten Kritiker von Google und dessen Tochterunternehmen Youtube gilt. Mitte Juli griff er das „Silicon Valley“ – die Google-Mutter Alphabet, Youtube, Facebook, Microsoft oder Apple sitzen alle nur wenige Kilometer voneinander entfernt südlich von San Francisco – bei einer Anhörung vor dem Justizausschuß im US-Senat erneut scharf an: „In seiner berühmten Abschiedsrede im Januar 1961 warnte Präsident Eisenhower vor dem möglichen Aufstieg einer ‘technologischen Elite’, die die öffentliche Ordnung ohne Bewußtsein der Menschen kontrollieren könnte“, erklärte Epstein. „Diese Elite existiert jetzt, und sie hat mehr Macht, als man denkt.“

Google kontrolliert derzeit über 92 Prozent der weltweiten Suchergebnisse, der nächstgrößere Anbieter, Microsofts Bing, nur knapp drei Prozent. Das hat weitreichende Folgen. Denn Google verfolgt alle Suchanfragen und überwacht auch andere Bereiche des Nutzerverhaltens, so daß man zugeschnittene, personalisierte Ergebnisse erhält. „Im Moment liegt es ganz bei Google, zu bestimmen, in welcher ‘Blase’ du dich befindest, welche Suchvorschläge du erhältst und welche Suchergebnisse ganz oben auf der Liste stehen“, weiß Epstein. Das Resultat ist also eine Zensur der weichen Art oder wie Epstein es formuliert: „Das ist weltweite Gedankenkontrolle.“

Kritiker-Vorschlag:       Google sozialisieren

Eines der jüngsten Youtube-Opfer war der Chef der Identitären Bewegung, Martin Sellner. Die Videoplattform hatte am 27. August sein gesamtes Konto mit inzwischen über 107.000 Abonnenten gesperrt und dies mit ebendieser Anti-Diskriminierungs-Richtlinie begründet. „Inhalte, in denen Gewalt gegen einzelne oder Gruppen verherrlicht oder dazu aufgerufen wird, sind auf Youtube verboten“, hieß es laut Sellner in der entsprechenden Nachricht von Youtube. Was allerdings genau gemeint war beziehungsweise was Sellner sich konkret hatte zuschulden kommen lassen, habe das Unternehmen nicht mitgeteilt. Youtube habe den Aktivisten lediglich informiert, den Account „aufgrund wiederholter und grober Verletzungen“ unsichtbar gemacht zu haben. Er sei nun auch nicht mehr berechtigt, auf andere Youtube-Konten zuzugreifen oder weitere zu besitzen und zu erstellen.

Sellner wehrte sich gegen die Abschaltung. Er füllte das Einspruchsformular aus, das Youtube in solchen Fällen gleich an die Nachricht anhängt, und schickte es ab. Außerdem bat er seine Twitter-Follower, die Video-Plattform anzuschreiben und darauf hinzuweisen, „daß mein Kanal nicht gegen ihre Richtlinien verstößt“. Darüber hinaus schaltete er seine Anwälte ein, die einen Brief an Youtube aufsetzten: „Das geht ins Geld und ist eines der vielen leidigen, mühsamen und nervigen Dinge, mit denen man sich als öffentliche Person, die sich gegen die Massenmigration ausspricht, herumschlagen muß“, so Sellner gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Nach anderthalb Tagen war sein Kanal dann wieder frei erreichbar.

In Deutschland erging es Niklas Lotz wie dem Österreicher Sellner. Youtube löschte seinen Kanal „NeverforgetNiki“ mit 93.000 Followern ohne Vorwarnung. Anwalt Steinhöfel hält das für „rechtswidrig“, allein schon wegen der üblichen pauschalen Begründung zur Löschung. Der Jurist sagt: „Alle Beiträge auf dem Kanal, die uns bekannt sind, sind sachlich und bewegen sich im Rahmen der von Artikel 5 GG garantierten Meinungsfreiheit.“ Steinhöfel setzte dem Video-Riesen eine Frist zur Wiederherstellung des Kanals bis zum 22. August. Ansonsten würde er gerichtliche Schritte einleiten. Noch vor Ablauf schaltete Youtube den Kanal wieder frei. Offenbar war dem Unternehmen klar, daß Lotz keine strafbaren Inhalte verbreitet hatte. Aus politischen Gründen wollte es einen unbequemen User abschalten. Exemplarisch: Erst der Rechtsweg konnte die Meinungsfreiheit gegen die Willkür verteidigen.

Im Juni löschte die Videoplattform den Kanal des Islamkritikers Hamed Abdel-Samad. Auf dem Kanal Hamed.TV mit heute 132.000 Abonnenten hatte der Publizist mit Wissenschaftlern und Prominenten über Islam, Säkularisierung, Aufklärung oder Minderheiten im arabischen Raum gesprochen. „Bravo, Youtube! Islamisten wollen mich umbringen, um mich zum Schweigen zu bringen, und Youtube erfüllt ihnen den Wunsch“, twitterte Abdel-Samad. Einen Tag nach Löschung wurde der Kanal dann wieder freigeschaltet – nachdem der Publizist Rechtsmittel angedroht hatte.

Noch existieren keine Alternativen, die den Tech-Monopolen Paroli bieten könnten. Zwar gibt es zahlreiche Nischenplattformen, in denen frei gesprochen werden kann, wie gab.com als Soziales Netzwerk und Twitter-Alternative oder bitchute.com als Videoplattform. Aber ein breites Publikum läßt sich dort (noch) nicht erreichen. Das russische Facebook-Pendant vk.com ist im Gebiet der GUS-Staaten sehr beliebt, quillt aber über von Pornographie und Inhalten, die in Deutschland unter Paragraph 130  StGB (Volksverhetzung) fallen. Zudem lesen Moskaus Sicherheitsdienste mit wie in einem offenen Buch – wogegen keine Rechtsmittel helfen.

Zumindest für Google hat der Psychologe Epstein einen Vorschlag. Demnach gebe es einen einfachen Weg, das Monopol des Unternehmens zu beenden, ohne seine Suchmaschine zu zerstören. Man müßte Googles Index, also die riesige und ständig wachsende Datenbank, die es unterhält, in eine Art öffentliches Gut verwandeln. „Wenn das private Eigentum an wesentlichen Ressourcen und Dienstleistungen nicht mehr dem öffentlichen Interesse dient, greifen die Regierungen häufig ein, um sie zu kontrollieren.“ Dabei verweist er auf eine Entscheidung von 1956, als das Telekommunikationsunternehmen AT&T, das bis dato eine Monopolstellung innehatte, sich auf Druck der Regierung bereit erklärte, alle seine Patente kostenlos mit anderen Unternehmen zu teilen. Dies führte zu einer erheblichen Zunahme technologischen Wettbewerbs und Innovation im Bereich der Telekommunikation.

Eine entsprechende Entscheidung betreffend Google würde laut Epstein ebenfalls zu mehr Suchplattformen führen, die jeweils ein Nischenpublikum bedienen. „Die Suche wird, wie in den ersten Jahren, wettbewerbsfähig werden, und die Demokratie wäre vor Googles Geheimniskrämerei geschützt. Einwände, Google könne Eigentumsrechte an den Inhalten seines Index geltend machen, wischt Epstein beiseite. „Und zwar aus dem einfachen Grund, weil es fast alle diese Inhalte selbst nur gesammelt hat“, wie er sagt. „Keine der Internet­seiten oder eine externe Behörde hat Google jemals die Erlaubnis erteilt, diese Kopien zu erstellen.“