© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Abschied von der „Schwarzen Null“
Haushalt: Bund wird mit den Einnahmen nicht auskommen
Paul Rosen

Olaf Scholz war des Eigenlobes voll: Noch nie habe eine Bundesregierung so viele Investitionen geplant wie im Haushaltsentwurf für 2020, erklärte der SPD-Bundesfinanzminister in der Etatdebatte des Bundestages. Auf den ersten Blick scheint das zu stimmen: Als Investitionen weist Scholz in seinem Entwurf die stolze Summe von 39,8 Milliarden Euro aus – bei geplanten Gesamtausgaben von 359,9 Milliarden. Und auch die „Schwarze Null“, also der Verzicht auf eine Nettokreditaufnahme des Bundes, soll gehalten werden. 

Die Wahrheit sieht anders aus: Die für Investitionen bereitgestellten Mittel fließen kaum ab, wie erst kürzlich am Beispiel des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes deutlich wurde. Nicht einmal die Hälfte der Mittel wurde abgerufen (45,3 Prozent). Und Vater der „Schwarzen Null“ ist in Wirklichkeit ein Italiener: Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat durch die Nullzinspolitik dafür gesorgt, daß der deutsche Staat seine Verschuldung senken konnte, weil die Zinskosten für die weiter bestehenden Kredite stark sanken.

Altmaier plädiert          für „grüne Anleihen“

Nur deshalb „haben die Haushalte von Bund und Ländern in den vergangenen Jahren ohne Sparanstrengungen vom Minus in Plus gedreht“, sagt Reiner Holznagel, der Präsident des Bundes der Steuerzahler. Ein Blick in die Mittelfristige Finanzplanung von Scholz bestätigt das: So betrugen die Zinsausgaben des Bundes 2014 noch 25,9 Milliarden Euro, in diesem Jahr sollen es noch 17,8 Milliarden sein. Seit der Finanzkrise 2008 hat die Bundesrepublik durch die gesunkenen Zinsen nach Berechnungen der Bundesbank 368 Milliarden Euro gespart – das entspricht etwa den gesamten Bundesausgaben des kommenden Jahres. Der Schuldenberg des Bundes reduzierte sich von 1.069 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf jetzt 1.021.

Bürger und Unternehmen hatten übrigens nichts von der Ersparnis: Im OECD-Vergleich steht die Steuer- und Abgabenbelastung der Bundesbürger international auf dem zweiten Platz. Erst für 2021 ist eine mickrige Reduzierung des Solidaritätszuschlages um zehn Milliarden Euro vorgesehen. Zudem haben die deutschen Sparer etwa 300 Milliarden Euro Verluste durch den Nullzins erlitten. Gutverdiener profitierten hingegen und konnten mit billigen Krediten günstig Immobilien erwerben.

Zudem hat der Haushalt eine soziale Schieflage. Durch immer neue Sozialleistungen wie Mütterrente, eventuell eine Grundrente und verbesserte Pflegeleistungen, mit denen CDU/CSU und SPD ihren Wählerschwund aufzuhalten glauben, werden die Sozialausgaben noch mehr aus dem Ruder laufen. Die Ausgaben des Bundes für „Soziale Sicherung“ sollen von 98,02 in diesem Jahr auf 105,8 Milliarden im nächsten Jahr und bis 2023 auf 113,6 Milliarden steigen. Wenn man weiter so bei den Sozialleistungen draufsattele, warnten Experten des Finanzministeriums 2016 den damaligen Minister Wolfgang Schäuble (CDU), werde die Staatsschuldenlast bis 2060 explodieren. Und zwar von den heutigen 60 auf 220 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Italien wäre mit einer Quote von 130 Prozent dann eine Art finanzpolitischer Musterknabe. Schäuble und Scholz ignorierten die Warnungen.

In anderen Bereichen werden die Hausaufgaben nicht gemacht. Alle Beschwörungen, man werde für die Verteidigungsausgaben die von der Nato gewünschten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufwenden, straft die Finanzplanung Lügen: Danach sollen die Verteidigungsausgaben von 38,6 Milliarden im nächsten Jahr bis 2023 auf 37,8 Milliarden sinken. Die „flüchtlingsbezogenen Belastungen des Bundeshaushalts bis 2023“ werden auf 117,2 Milliarden beziffert (berechnet seit 2018).

Für Europa ist reichlich Geld da: Die Abführungen des Bundes an die EU sollen von rund 31 Milliarden Euro in diesem Jahr auf rund 46 Milliarden Euro im Jahr 2023 steigen – wofür, ist der Finanzplanung nicht zu entnehmen. Sollten die Briten den Brexit schaffen, kommen weitere zehn Milliarden Euro drauf, was jede Aussicht auf Steuersenkung in das Reich der Legende verschiebt.

Trotz sprudelnder Steuereinnahmen glauben Politiker einer ganz großen Koalition aus Union, SPD und Grünen nicht mit dem Geld auszukommen. Die Schlüsselbegriffe heißen „Investitionen“ und  „Klima“, gerne auch miteinander verknüpft. Scholz’ ärgster Konkurrent um den Chefsessel der Sozialdemokraten, der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans, will sich von „Schwarzer Null“ und Schuldenbremse trennen und ein gigantisches Investitionsprogramm auflegen. „Der Staat wird in den kommenden Jahren mehr Geld brauchen“, assistiert SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mit Blick aufs Klima. Die Grünen wollen einen „Bundesinvestitionsfonds“ – finanziert mit 35 Milliarden Euro neuen Schulden.

Die Union ist schon lange nicht mehr der Lordsiegelbewahrer geordneter Staatsfinanzen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier will eine „Klima-Stiftung“, die sich über „grüne  Anleihen“ (mit Staatsgarantie und etwas mehr Zinsen zur Absatzförderung) finanziert. Der Altmaier-Plan ist in Wirklichkeit identisch mit den Investitionsplänen von Grünen und SPD – mit dem kleinen Unterschied, daß der Wirtschaftsminister die neuen Schulden in einem Schattenhaushalt verstecken will, damit nicht jeder sofort merkt, daß der Abschied von der „Schwarzen Null“ bevorsteht.