© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Doch auf den grünen Zweig gekommen
Nach den Landtagswahlen: Brandenburgs CDU-Chef Senftleben tritt zurück / In Sachsen beginnen Sondierungsgespräche über Kenia-Koalition
Jörg Kürschner / Björn Harms

Der Wahlausgang am vorvergangenen Sonntag mag die langjährige CDU-Chefin Angela Merkel an ein unbehagliches Ereignis in Brandenburg erinnert haben. Es war im November 1991, als die märkische Union der zu Jahresbeginn ins Amt gekommenen Bundesfrauenministerin eine herbe Niederlage bereitete. Mit 67 zu 121 Stimmen verlor sie den Kampf um den Landesvorsitz gegen den vielfach als Westimport geschmähten Sozialpolitiker Ulf Fink. Von einer „lehrreichen Erfahrung“ sprach sie später. 

Mittlerweile steht die brandenburgische CDU vor der Wahl ihres 12. Landesvorsitzenden, denn dem Merkelianer Ingo Senftleben blieb nach dem vernichtenden Ergebnis von 15,6 Prozent nur der Rücktritt. Der glücklose Ministerpräsidentenkandidat hatte ein CDU-Tabu gebrochen, eine Koalition mit der Linken nicht ausgeschlossen und den Verlust von sechs Direktmandaten an die AfD zu beklagen. Zur Empörung mehrerer Abgeordneter, etwa der konservativen Saskia Ludwig, diente sich Senftleben noch am Wahlabend Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) an, den er erklärtermaßen ablösen wollte. Wegen des erzwungenen Rückzugs des strategisch gescheiterten CDU-Linken stellten SPD und Grüne sogleich die in Aussicht genommene Kenia-Koalition in Frage. Die einstimmige Wahl des Senftleben-Vertrauten Jan Redmann zum neuen Fraktionschef dürfte die Chancen für das Kenia-Bündnis wieder erhöht haben.

Selbstkritik ist bei                der SPD Fehlanzeige

Das magere Ergebnis in der Mark liegt auch der FDP schwer im Magen, konzentrierten sich doch die Erwartungen auf die erst im Frühjahr gewählte Generalsekretärin Linda Teuteberg, eine gebürtige Brandenburgerin. Die 38jährige Liberale wirkt eher distanziert, anders als die gleichaltrige, unbeschwert wirkende Grünen Ost-Hoffnung Annalena Baerbock. Enttäuscht über das deutliche Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde in beiden Ländern, frustriert über den Einzug der Freien Wähler in den Potsdamer Landtag, blicken die Liberalen jetzt nach Thüringen. Als „einzige Partei der politischen Mitte“ wollen sie sich dort bis zum 27. Oktober den Wählern präsentieren. 

Bis dahin sind Personaldebatten unerwünscht. Erste Risse wurden gleichwohl sichtbar. Der Alt-Liberale Wolfgang Kubicki, der im engen Schulterschluß mit Parteichef Christian Lindner 2017 den Wiedereinzug in den Bundestag organisiert hatte, beklagte die „dauernde Fokussierung“ auf diesen und drohte „deutlich mehr aufzutreten“. Dessen „sehr juveniler Auftritt“ habe „die über 60jährigen verstört“. Im Umgang mit der AfD rät der streitbare Liberale zu einem Kurswechsel. Weniger „provozierende emotionale Ansprache“, mehr „persiflieren und ironisieren“ – so die Empfehlung des Bundestagsvizepräsidenten.

Bei der SPD war Selbstkritik Fehlanzeige. Stattdessen wurde das Abschneiden der märkischen SPD (26,2 Prozent) als Riesenerfolg verkauft, trotz des Stimmenrückgangs von 5,7 Prozentpunkten. Ein fragwürdiger Erfolg, der nicht am Abschneiden der SPD vor fünf Jahren, sondern an Meinungsumfragen vor zwei Monaten gemessen wurde. O-Ton Generalsekretär Lars Klingbeil: Die SPD sei in Brandenburg „fast viertstärkste Partei“ in den Umfragen gewesen und habe enorm aufgeholt. Dem SPD-Spitzenkandidaten in Sachsen, Martin Dulig, attestierte Interims-Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel allen Ernstes einen „engagierten und lebensfrohen Wahlkampf“. Das klägliche Ergebnis von 7,7 Prozent – weggedrückt. Im Vordergrund stand vielmehr die zwiespältige Freude, daß die AfD in beiden Ländern „nur“ zweitstärkste Partei geworden ist. 

Deren neue Fraktion in Potsdam – beachtlich gewachsen auf 23 Abgeordnete – hat den alten zum neuen Vorsitzenden wiedergewählt. 20 Ja-Stimmen erhielt Andreas Kalbitz. Der Eindruck von Partei-Insidern bestätigte sich: Die Fraktion wird von Gefolgsleuten des Landesvorsitzenden dominiert, aber es gibt durchaus einzelne Kritiker. Bereits am Wahl-abend meldete mancher „Redebedarf“ angesichts der jüngsten Presseberichte über Kalbitz’ politische Vergangenheit an. Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende wurden Birgit Bessin und Steffen Kubitzki gewählt, Andreas Galau bleibt Parlamentarischer Geschäftsführer.

Die Grünen erwiesen sich ein weiteres Mal als „Umfrage-Könige“, zeigten doch ihre Ergebnisse zwischen acht und elf Prozent, daß sie Lichtjahre von einer Volkspartei trennen. Die märkische Grünen-Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher hatte sich lächerlich gemacht, indem sie sich schon als künftige Ministerpräsidentin ins Gespräch brachte. Davon war am Wahlabend keine Rede mehr. Gleichwohl hat die Ökopartei gute Chancen, in Potsdam wie in Dresden an den Regierungen beteiligt zu werden; in einer Kenia-Koalition in Sachsen wie auch in Brandenburg. Dort wäre auch ein rot-rot-grünes Bündnis möglich.

Darauf hoffen natürlich die SED-Nachfolger, die der Verlust ihrer Ost-Kompetenz an die AfD schmerzt. Das Minus von rund acht Prozentpunkten soll aber erst nach der Landtagswahl in Thüringen aufgearbeitet werden. Dort geht es Ende Oktober für die Linke mit ihrem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ums Ganze. Die Neuaufstellung „ohne Tabus“, angekündigt von Parteichefin Katja Kipping, muß warten. Das behagt vor allem einer Person überhaupt nicht. Die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht will nach den Einbrüchen ihrer Partei schnellstmögliche Kursänderungen. „Wir brauchen eine Rückbesinnung auf das, was wirklich linke Politik ist“, sagte sie am Sonntag im ZDF. Viele frühere Wähler, insbesondere auf dem Land, hätten das Gefühl, „daß wir nicht mehr ihre Sprache sprechen“. Das sei ein riesiges Problem. „Wenn wir so weitermachen wie in den letzten Jahren, dann wird die Linke keine große Perspektive mehr haben“, lautete ihr Resümee.

Auf einmal versöhnliche Töne Richtung Grüne

Die sächsische CDU dagegen konnte eine innerparteiliche Zerreißprobe am vergangenen Samstag abwenden, als sich der konservative Abgeordnete Matthias Rößler bei der Nominierung zum Landtagspräsidenten einer Gegenkandidatin aus dem liberalen Flügel der Partei stellen mußte. Rößler ist nicht irgendwer in der CDU, er hatte in seiner langen Parteikarriere schon etliche hohe Ämter inne, sitzt seit 29 Jahren im Dresdner Landtag und war auch in der vergangenen Legislaturperiode Landtagspräsident. Das Duell mit der bisherigen Vizepräsidentin des Parlaments, Andrea Dombois, galt vielen Beobachtern somit als erste Richtungsentscheidung. 

Doch die Abstimmung in der Fraktionssitzung entschied Rößler mit 32 von 44 Stimmen klar für sich. Auch weil Ministerpräsident Kretschmer seine Kandidatur unterstützte. Der CDU-Chef weiß: Er muß die Reihen schließen und auch den konservativen Flügel einspannen, um seine Partei in die geplante Kenia-Koalition zu führen. 

An der Basis ist die Koalition ohnehin umstritten. Viele befürchten: Wenn die sächsische CDU eine Regierung mit den Grünen bildet, stößt sie damit viele bürgerliche Wähler, die CDU statt AfD gewählt haben, vor den Kopf und treibt sie zur AfD. Streitpunkte zwischen Grünen und CDU gibt es ohnehin viele, vom Braunkohleausstieg, über das Polizeigesetz, das am 1. Januar 2020 in Kraft treten soll, bis hin zum Thema Gemeinschaftsschule. Im Wahlkampf hieß es aus der Union noch, die Grünen seien eine „ideologiegetriebene Verbotspartei“. Nun schlägt man versöhnlichere Töne an. 

Die angestrebte Kenia-Koalition macht deutlich, wie wenig programmatische Deckungsgleichheit bei der Regierungsbildung wert ist. Vergleicht man etwa die Antworten auf die Fragen des sächsischen Wahl-O-Mats, bei dem 38 landesspezifische Themen zur Debatte standen, stimmen die Antworten von AfD und CDU zu 63 Prozent überein, die von CDU und SPD zu 36,4 Prozent und die von CDU und Grünen lediglich zu 26,3 Prozent.

Doch die Landesvorstände der drei Parteien haben sich bereits darauf geeinigt, Anfang nächster Woche mit Sondierungsgesprächen zu beginnen. Mitte Oktober könnte es dann zu ersten Koalitionsverhandlungen kommen. Auch zwischen Grünen und der SPD könnte es dabei zu machtpolitischen Spannungen kommen. Erstere haben bei der Wahl besser abgeschnitten und hätten somit Anspruch auf das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Kaum vorstellbar jedoch, daß der sächsische SPD-Chef Martin Dulig, der den Stellvertreterposten die vergangenen fünf Jahre innehatte, sein prestigeträchtiges Amt kampflos räumt.

„CDU wird bald               zerrieben wie die SPD“

Genüßlich von der Seite angucken könnte sich das Spektakel dann die AfD. Der Generalsekretär der sächsischen Partei, Jan Zwerg, rechnet bei einer Einigung mit einem „beschleunigten Niedergang der Volkspartei CDU“. Es entstehe bei ihm der Eindruck, „daß konservative Politik geopfert wird, um aalglatt in die Reihen der neuen Koalition mit Linkspopulisten und Deutschlandfeinden zu gleiten“. Die CDU habe ihr einstiges Profil endgültig abgelegt. „Allein es wird ihr nicht helfen“, ist er sich sicher. „Sie wird in den kommenden Jahren zerrieben, wie es bereits die SPD erleben mußte.“ 

Die AfD dürfte auch aus Gründen der eigenen Professionalisierung froh sein, nicht in die Regierungsverantwortung zu müssen. 31 ihrer 38 Abgeordneten sind Parlamentsneulinge, Mitarbeiter werden allerorts händeringend gesucht. Jurististisches Spitzenpersonal für zu besetzende Ministerien wäre kaum vorhanden. Die Partei gewinnt also Zeit.