Schon ein flüchtiger Blick auf die Machtfrage im Großraum Tripolis verdeutlicht das Dilemma in dem seit dem Sturz Gaddafis 2011 zwischen unterschiedlichen Clans völlig zersplitterten Libyen: Mit der international nicht anerkannten Nationalen Heilsregierung, der UN-gestützten Regierung des Nationalen Einklangs sowie Milizen aus dem Umfeld der radikalislamischen Ansar al-Scharia haben gleich drei widerstreitende Fraktionen in der Hauptstadt ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Der amtierende Präsident Fayiz as-Sarradsch erweist sich, als Mann ohne eigenes Militär, als Spielball divergierender Interessen unzähliger Stämme, Parteien und religiöser Bewegungen. Hinzu kommt die stete Bedrohung aus dem Osten: General Chalifa Haftar, der Machthaber in Tobruk, der gern damit droht, seine libysche Armee nach Tripolis vorstoßen zu lassen.
Das gespaltene Libyen zieht weite Kreise – und spaltet nicht zuletzt auch die federführenden Staaten der Europäischen Union. Mit wem ist überhaupt noch zu verhandeln bei Grenz- und Flüchtlingsproblemen? Wer wird in den kommenden Monaten noch regieren, wer vielleicht bereits gestürzt sein? Schon jetzt gehen Frankreich und Italien getrennte Wege in der Libyenfrage – und bieten somit Ägypten und ebenso Rußland die offene Flanke an, das künftige Schicksal Libyens ganz ohne Mitsprache der EU zu gestalten.