© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/10 17. Dezember 2010
Überdehnungsschmerzen der Europäischen Union Die Eurozone habe exakt jene Verschuldungsgemeinschaft geboren, die ihre Kritiker seit langem vorhersagten. Der Politikwissenschaftler Heinz Theisen (Katholische Hochschule NRW, Köln) sieht darin einen klassischen Überdehnungsfall, der immer wieder in der Geschichte zu den wesentlichen Ursachen für den Niedergang großer Mächte und Vereinigungen gehöre (Merkur, 638/2010). Sollte Brüssel im ungehemmten Größenwahn (Helmut Schmidt) fortfahren, die Türkei nebst weiterer Kandidaten bis Georgien aufzunehmen, wäre damit jede Chance auf einen geachteten Platz in der neuen multipolaren Weltordnung verspielt. Für Theisen ist der eigentliche Motor, der die EU in den Untergang treibt, die weltanschauliche Desorientierung ihrer Eliten. Kulturell relativistisch huldigten sie dem Irrglauben, die westliche Kultur sei nichts Besonderes, fremde Kulturen nur scheinbar fremd und damit ad infinitum integrierbar. Demnach sei der Friede um so gesicherter, je näher sich die Kulturen im imaginierten universalen Wertesystem kämen. Daher könne man sich in Brüssel Grenzen als Wirklichkeiten gar nicht mehr vorstellen. Ein solcher Universalismus zerstöre aber jedes Zusammengehörigkeitsgefühl, jede europäische Identität. Deshalb werde ohne Abgrenzung, ohne Organisation von Distanz auch die Integration des Kerns nicht gelingen. (jr) www.online-merkur.de |