© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/10 01. Oktober 2010
Haltungsnote Jürgen Trittin hat Farbe bekommen. Nicht auf einer Sonneninsel, sondern in Hannover. Ausgerechnet auf einer Podiumsdiskussion über Ideale versus Realpolitik ruinierte ihm ein maskierter Unbekannter den Anzug. Mit einer Torte. Trittins Diskussionspartnerin, die selbsternannte Berufsrevolutionärin Hanna Poddig, fand das gut. Sie rechtfertigte den Tortenwurf als Akt, Kritik in die Öffentlichkeit zu tragen. Zornig verließ der grüne Bundestagsfraktionschef die zentrale Bühne der Theaterinszenierung Freie Republik Wendland. Aus dem Stehgreif deklamierte der politische Charakterdarsteller: Körperliche Gewalt kann keine Basis einer Diskussion sein, und ich kann mit niemandem diskutieren, der körperliche Gewalt gegen mich gut findet. Den antiautoritären Auftritt des Anonymus hätte man auch als dialektischen Umschlag interpretieren können. Oder konservativer gesprochen als Ironie der Geschichte. Denn in seiner Jugend war Trittin selbst ein Heißsporn im Kommunistischen Bund und dort wohl weniger zimperlich. Nun traf der ehemalige Bundesumweltminister auf Geister, die er selbst beschwor. Seine Vorbilder hatten doch skandiert: Macht kaputt, was euch kaputtmacht! Eher als das von Klaus Töpfer inspirierte Dosenpfand bleibt dies die Lebensleistung des Jürgen Trittin. Dennoch könnte der grüne Politiker dem Anschlag etwas Positives abgewinnen. Schließlich erhielt er nach dem Übervater Joseph Fischer nun selbst den Ritterschlag der APO. Er rückt damit in die altlinke Ahnengalerie der Farbbeutelanschlagsopfer auf. Negativ ist hingegen die Ökobilanz des schändlichen Verbrechens: Die Polizei ermittelt derzeit, ob es sich bei der Farbe um links- oder rechtsdrehenden Biojoghurt handelte. |